St. Laurentius Erfurt

Aus der Festschrift zur Einweihung der rekonstruierten Barockorgel in der Cruciskirche

Die Volckland-Orgel in der Cruciskirche,
Silvius von Kessel, Domorganist am Erfurter Mariendom

Franciscus Volckland (1696 – 1779) muss ein Künstler gewesen sein, der – frei von finanziellen Sorgen – eine Klangästhetik der Orgel vor dem inneren Ohr hatte, welche mir zwei Elemente zu vereinen scheint: die sehr charakteristisch-bodenständige und klangsinnliche thüringische Orgel seiner Zeit und eine Eleganz und Ausgewogenheit des Klanges, wie wir sie eher bei Gottfried Silbermann antreffen. Vielleicht hatte Jakob Adlung diese Bedeutung ausdrücken wollen, indem er in seinem Buch “Musica Mechanica Organoedi” (Berlin, 1768) voll Bewunderung anmerkte: “Der Klang dieser Orgel ist unvergleichlich.” Und Adlung war ja durchaus kritisch und entfernt davon, die Orgeln, die er beschrieb, mit Lob zu überhäufen.

Dieser Satz schwebte in meinem Innern sozusagen wie ein Leitmotiv über dem Ansinnen einer Restaurierung und Teilrekonstruktion dieser Orgel sowie über der ganzen Phase der Durchführung der Arbeiten. Würde dieses große Lob gerechtfertigt sein? Würde man also wieder erahnen können, was Adlung meinte?

Volckland hat auch einige Orgeln in dörflicher Umgebung von Erfurt gebaut, aber es scheint, dass hier in der Cruciskirche sein Meisterwerk entstanden ist, bei dem er – vielleicht – ganz seinem inneren Ohr, seiner Vision folgen konnte. Denn das Instrument ist durchaus anders als andere Orgeln von ihm, die wir heute noch kennen, und die man im Vergleich “bodenständiger” (was nicht abwertend gemeint ist) nennen würde. Das Kloster war begütert genug, um ihn ohne wirtschaftlichen Druck walten zu lassen, die Kirche war groß und inspirierend genug, um eine klangliche Entfaltung zu ermöglichen. So entstand in den Jahren um 1735 seine Orgel in der Cruciskirche in Erfurt.

Wer die vokale, noble Qualität dieser Orgel jetzt spürt, die ausgewogene, gesangliche Art ihres Klanges, der auch in den hohen Lagen nicht schneidend wird, sondern sich im Gegenteil auch dort in voller Gelassenheit und ohne Härte entfaltet (was u.a. an den sich in den höheren Lagen im Verhältnis verbreiternden Mensuren liegt), der mag vielleicht erahnen, was Adlung meinte. Wer zudem die Staffelung des Plenums über die sehr tiefliegende auf einem 16´ basierende Hauptwerksmixtur (die Terzen enthält) zur immer noch erstaunlich voluminösen Brustwerksmixtur und dann wieder zur brillanteren Cymbel im Hauptwerk auslotet und schließlich im vollen Plenum spielt, der hat einen weiteren Aspekt gefunden, der diese Orgel hervorragend macht: Ein raumgreifendes Plenum erstreckt sich hier über alle Lagen, mit großem Volumen und schöner Brillanz, und das in dem herrlichen Kirchenraum der Cruciskirche, der nicht zu klein für diesen großen Klang ist, sondern eine ideale Akustik bildet, andererseits aber auch nicht zu groß ist, so dass der Klang sich verlöre.
Von den edlen Prinzipalen, der entzückenden Blockflöte (Fl. douce 8´, wie eine richtige Blockflöte gebaut und auch so klingend!), den schönen Streichern, dem edlen Gemshorn (so charakteristisch und schön, wie ein Echoprinzipal, kann ein Gemshorn klingen!) und der gelungenen Vox humana etc. möchte ich gar nicht erst anfangen….

Orgel und Raum sind hier wie aus einem Guss, sie sind de facto ja auch als ein Wurf geschaffen. Es ist hiermit ein edles Instrument wiedererstanden, das ohne Zweifel Erfurts bedeutendste und eine der bedeutendsten Barockorgeln in Thüringen ist – neben den Instrumenten des Orgelbauers Trost in Waltershausen und Altenburg. Schön ist auch, dass – wenn man die ebenso vor kurzem restaurierte frühbarocke Stertzing – Orgel in Büßleben nach Erfurt “eingemeindet” – Erfurt orgellandschaftlich gesehen nun über zwei bedeutende und verschiedene instrumentale Exponenten der Barockzeit verfügt, des frühen Barock mit mitteltöniger Stimmung in Büßleben und des Hochbarock mit ungleich schwebender, aber nicht mehr mitteltöniger Stimmung in Erfurt / St. Crucis.

Ich freue mich, dass diese Orgel zukünftig nun auch in den “Internationalen Orgelwettbewerb zu Erfurt” integriert werden kann, und ich kann versichern, dass es mein Bestreben ist, diese Orgel auch einem kirchenmusikalisch interessierten Publikum vorzustellen, indem wir sie in die Orgelkonzertreihe(n) des Domes integrieren und somit auch erreichen, dass die Cruciskirche samt ihrer Orgel aus dem Schatten tritt. Es gibt viele Möglichkeiten, die sich im Spannungsfeld zwischen der gewaltigen, symphonischer ausgerichteten Hauptorgel des Domes und diesem barocken Kleinod ergeben können.

Was mich immer besonders gefreut hat, war die höchst vertrauensvolle und herzliche Zusammenarbeit mit Pfarrer Matheis, ohne dessen Begeisterung dieses ja auch riskante Unterfangen nicht begonnen und erfolgreich beendet worden wäre. Seine offene Art ließ die Dinge möglich werden, die nicht möglich schienen, ich danke ihm dafür.

Zum Schluss möchte ich mich an die Firma Schuke wenden, vor allem Herrn Roennecke und Herrn Schüssler, die hier vor Ort waren: Sie haben eine hervorragende Arbeit geleistet, für die sie schon sehr gelobt worden sind und für die sie auch in Zukunft sicher noch sehr gelobt werden. Es ist Ihnen mit großem Einfühlungsvermögen ein Werk gelungen, welches in Erfurt und Thüringen Maßstäbe setzt.

Und ist es nicht die Musik, die von ihrem Wesen her so nahe an der transzendentalen und zugleich sinnlich erfahrbaren göttlichen Wirklichkeit liegt, dass – wie so oft – Wohl und Wehe dicht beieinander liegen? Die Gefahr kann zugegebenermaßen sein, dass sie den Menschen weit trägt, ohne dass ihr Kern sichtbar wird, denn sie ist verführerisch und kann bis zu einem gewissen Grad sich selbst genügen. Aber ihre wunderbare Chance ist, dass sie die Selbstgenügsamkeit und den (zunächst notwendigen) Selbsterfahrungshorizont (des Interpreten) überschreitet und jenen Strahl durchschimmern lässt, der die Seele in gleichsam göttliche Schwingungen versetzt. Dann wird der Mensch selbst zum Werkzeug, wie das königliche “instrumentum” namens Orgel, auf dem er spielt, dann tönt es durch ihn hindurch – auch im Leid, und aus der Stille der Welt heraus.

Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
so lass uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all deiner Kinder hohen Lobgesang.
(Bonhoeffer)